Den Kilimanjaro habe ich mit zwölf Jahren zum ersten Mal von Kenya aus gesehen. Schon damals faszinierte mich dieser riesige, schneebedeckte Berg inmitten der tierreichen, flimmernden und flachen Nationalpark-Steppen sehr. Nach weiteren Ostafrikabesuchen und fesselnden Blicken auf den erloschenen Vulkankrater wuchs der Wunsch, den höchsten Berg Afrikas, selbst zu erklimmen immer mehr. Ausgerechnet während der COVID19-Pandemie, als Reisen fast nicht möglich war, wurde mein Traum wahr.
Nach einer fantastischen Safari und unzähligen, unvergesslichen Tierbegegnungen – Big Five inklusive – trafen wir im Bergsteigerhotel in Moshi ein und wurden von unseren Bergführern Yesse und Godliving überschwänglich begrüsst. Als einzige Gäste im Hotel kochte der Koch sogar unser Wunschessen. Am nächsten Tag ging es mit dem Safarijeep los bis zum Machame Gate, wo wir unsere 15kg-schweren Rucksäcke an unsere Crew – bestehend aus 6 Trägern, einem Koch und einem Kellner – übergeben durften. Nur mit unseren Tagesrucksäcken bepackt, nahmen wir leichtfüssig die erste Etappe durch den saftig grünen Regenwald in Angriff. Viele endemische Pflanzen und Blumen säumten den breiten Spazierweg. Nach 4 Stunden erspähten wir, bereits in Vegetationszone Heideland angekommen, unser schon aufgebautes Zelt.
Wir wurden mit heissem Wasser, Tee und Popcorn empfangen und machten es uns gemütlich. Zum Nachtessen wurde uns ein feines 3-Gang-Menü serviert und das nicht nur am ersten Tag, sondern täglich zum Frühstück, Mittag- und Nachtessen. Unglaublich wie viele Kilogramm frisches Gemüse und Früchte die Träger extra für uns auf den Berg schleppten. Dann folgte bereits die nächste Überraschung: unsere beiden Bergführer und der Kellner sangen, nach dem Briefing für den nächsten Tag, inbrünstig ein wunderschönes Gutenachtlied für uns. Wir waren zu Tränen gerührt und freuten uns jetzt jeden Abend auf diese wohltuende Zeremonie. Nach einer sternenklaren Nacht ging es am nächsten Tag auf eine kurze Etappe zu den Shiva Caves auf bereits 3'750 m Höhe zur Akklimatisierung.
Am dritten Tag durchwanderten wir in einem, für uns sportliche Schweizer Wanderer, wahnsinnig langsamen Tempo (Pole Pole = langsam langsam ist das Motto, um die Höhe zu meistern), den ersten Teil der alpinen Zone und staunten über die vielen Pflanzen, welche auf über 4'000 m immer noch aus dem Boden spriessen. Wie jeden Tag überholten uns unsere Träger auch heute mit über 20 kg schweren Taschen auf dem Kopf und gleich schweren Rucksäcken am Rücken bepackt in Turnschuhen und Trainerhosen leichtfüssig, ja fast rennend. Beim Erklimmen der steilen Barrancowall und Aussicht auf das riesige, vollkommen leere Campinggebiet, wurde uns wieder einmal bewusst, welch ein Glück wir hatten. Normalerweise stehen dort hunderte von Zelten, eng aneinandergedrückt und tausende Touristen wandern im Gänsemarsch auf den Berg. Wir hingegen sahen meist den ganzen Tag keine Menschenseele und abends standen nur wenige, einzelne Zelte auf den Camps - dies, weil wegen der COVID19-Pandemie fast niemand reiste. Was nicht heisst, dass die Plumps-Stehtoiletten mit minikleinem, fast nicht treffbarem Loch, sauberer gewesen wären… aber man gewöhnt sich daran, respektive es bleibt einem nichts anderes übrig. Denn wer 6 Liter am Tag trinkt, um gegen die Höhenkrankheit anzukämpfen, pinkelt auf dem Weg zum Gipfel überall und jederzeit. In Tansania setzte langsam die Regenzeit ein und wir wurden auf den letzten Kilometern, vor dem Basislager, völlig durchnässt. Triefend standen wir schliesslich im Schneegestöber vor unserem Zelt im Barafu Camp auf 4'673 m. Von 16.00 bis 23.00 Uhr hatten wir Zeit uns ein bisschen zu erholen, unsere Kleider zu trocknen und uns für den Aufstieg auf den Gipfel zu wappnen.
Vor dem Start steckten wir mit unseren zwei Guides, wie jeden Tag, gemeinsam die Hände in die Mitte und beteten «Strong mind – strong heart – just dream it – don’t think it – Power to the people!». Und dann ging es los. Unsere Stirnlampen leuchteten uns den Weg durch die stockdunkle Nacht und den dichten Schneefall. Mit ganz kleinen Schritten, damit sich der Körper an die Höhe gewöhnt, ging es immer weiter steil bergauf. Nach sieben Stunden standen wir plötzlich mit klopfenden Herzen auf dem Kraterrand beim Stella Point und wie durch ein Wunder öffneten sich genau in diesem Augenblick die Wolken und der Himmel färbte sich in den schönsten Rottönen. Wir hatten es geschafft! Absolut überwältigt von diesen grossen, unbeschreiblichen Gefühlen umarmten wir einander tränenüberströmt.
So genossen wir einen spektakulären Sonnenaufgang und die Aussicht über die fantastische Gipfelwelt des Kilimanjaro. Dann ging es rund um den Kraterrand zwischen Eiskristallen hindurch bis hinauf zum Uhuru Peak, dem eigentlichen Gipfel des Kilimanjaros auf 5'895 m. Wo normalerweise hunderte Wanderer für ein Gipfelfoto Schlange stehen, standen nur wir und überblickten den menschenleeren Kilimanjaro. Diese überwältigenden Emotionen allein auf dem Dach von Afrika zu stehen, sind einfach unbeschreiblich und absolut unvergesslich! Ein riesengrosser Traum wurde wahr!
Dann hiess es auch schon Abschied nehmen und wo wir vor ein paar Stunden im Zickzack den Kies durchwanderten, gingen wir nun leichtfüssig geradeaus hinunter. Unsere Trägercrew kam uns singend und tanzend entgegen, was für ein fantastischer Moment! Nach einem kurzen Mittagsstopp im Basislager wanderten wir den ganzen Nachmittag weiter durch die immer grüne und wärmer werdende Natur. Mit, vom Hinuntergehen schlotternden Knien, kamen wir schliesslich nach insgesamt über 13 Stunden müde, aber überglücklich im letzten Regenwaldcamp an. Am nächsten Morgen wurde unser Gipfelerfolg mit Tänzen und Gesang und sogar einer Flasche Schaumwein (welche unsere Träger mühselig den ganzen Weg mitschleppten... Übrigens: sämtlicher Abfall, den die Crew auf den Berg bringt, nimmt sie auch wieder runter, das wird sehr streng kontrolliert) gefeiert. Die Rede unseres Bergführers Yesse rührte uns abermals zu Tränen und der Abschied von unserer wunderbaren Crew fiel uns allen sehr schwer. Auf den letzten Kilometern durch den Regenwald begleiteten uns Kapuziner- und Diademaffen. Am Mweka Gate endete schliesslich unser Trekking und unser Bergführer überreichte uns freudestrahlend und stolz, wie es auch wir waren, unsere offiziellen Zertifikate.
Das überwältigende Gefühl auf 5'895 Meter Höhe im Schnee, auf dem höchsten Punkt Afrikas zu stehen, werde ich nie vergessen. Es rührt mich jedes Mal wieder, wenn ich mich an dieses fantastische Abenteuer erinnere!
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