Die Schiffsretter von Island

Wie zwei Brüder mit Walbeobachtung Gutes tun
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Autor

Arni Sigurbjarnarson

Árni Sigurbjarnarson wurde in Húsavík, Island, geboren, studierte Musik an der Norwegischen Musikhochschule in Oslo und kehrte dann nach Island zurück, wo er im Jahr 1995 mit seinem Bruder Hördur die Firma North Sailing gründete. Árni hat drei erwachsene Kinder und wohnt mit seiner norwegischen Frau Line in Húsavík, wo er auch als Rektor der Musikschule Tónlistarskóli Húsavíkur tätig ist.

Lautlos spaltet der elegant-schwarze Schiffsrumpf des Schoners Opal das glatte Wasser, nur wenig Gischt umspielt den Bug, ab und zu blitzt etwas Dunkelgrün von der Unterseite aus dem tiefblauen Wasser. Ich schaue zu, wie dieses stilvolle und clever konstruierte Schiff langsam den Hafen verlässt, bepackt mit fünfzig Leuten, denen die Vorfreude ins Gesicht geschrieben steht. Es ist acht Uhr morgens und die erste Expedition des Tages startet im Hafen. Sie wird vier Stunden dauern. Dank eines neu entwickelten kohlenstoffneutralen Antriebs können die Gäste auf schonende Weise die Natur beobachten und sicher sein, dass die Meeresbewohner nicht unnötig in ihrem Lebensraum gestört werden. 

Im Reich der Tiere

Wir befinden uns im Städtchen Húsavík, das mehr als fünf Autostunden nördlich von der Hauptstadt Reykjavík entfernt ist und in der Skjálfandi-Bucht liegt. Es ist ein extremer Ort, wo die Tage im Winter kurz und dunkel und im Sommer lang und leuchtend sind. Vier Sonnenstunden am Tag bekommen wir in den Wintermonaten ab — nur Polarnächte mit den strahlenden Nordlichtern machen diesen Mangel an Licht wett. Im Sommer hingegen dürfen wir selbst mitten in der Nacht noch die letzten Strahlen der Mitternachtssonne geniessen, doch auch dann erreichen die Luft- und die Wassertemperatur am Tag nur knapp mehr als zehn Grad. Was wir Menschen als kalt empfinden, ist für viele Meeresbewohner des Atlantischen Ozeans ideal: Im Sommer sichten wir in den Gewässern vor Húsavík mehrere Finn-, Blau-, Zwerg-, Buckel-, Schwertwale und sogar einen Pottwal. Auch verschiedene Arten von Delfinen, eine grosse Population an Papageitauchern und viele Arten von Vögeln, darunter auch seltene Exemplare wie Merline oder Gerfalken, sichtet man auf unseren Expeditionen des Öfteren. 

Ein Glücksboot namens Knörrinn

Am Anfang meiner Geschichte steht kein Wal, kein Delfin und auch kein Papageitaucher. Am Anfang steht vielmehr die Liebe zu traditionellen hölzernen Segelschiffen. Nach der Rückkehr vom Musikstudium in Norwegen in meine Geburtsstadt musste ich mit Schrecken feststellen, dass man die ausrangierten isländischen Segelschiffe auseinandernahm und verbrannte, obwohl sie in dieser Form nicht mehr hergestellt werden. Für meinen Bruder Hördur und mich war das ein Verbrecher, denn wir sind Fischerssöhne. Wir sind auf solchen Segelschiffen aufgewachsen und verbrachten auch später viele Sommer auf einem schönen, alten, norwegischen Colin Archer Segelboot der Familie meiner Frau. Hördur und ich entschieden uns deshalb im Jahr 1994, ein altes isländisches Segelschiff aus Eichenbaum zu kaufen und es damit vor dem Tod zu retten: das Glücksboot Knörrinn. Glücksboot, weil es im Jahr 1963 einen stürmischen Tag überstand, der in Island 16 Fischer mitsamt Booten das Leben kostete. 1968 überlebte es einen Zusammenstoss mit einem Eisberg. Heute hat die Knörrinn über 2000 Ausflüge mit 40 000 Gästen auf dem Buckel. 

Unser Einkommen war nicht von vornherein gesichert, denn die Renovation und Instandhaltung von der Knörrinn kostete viel Geld. Wir versuchten uns in mehreren Disziplinen — als am erfolgreichsten stellten sich die Walbeobachtungsexkursionen heraus. Wir kannten Walbeobachtungen nur vom Hörensagen und hatten keine Ahnung, wie viele Wale in den Gewässern um Húsavík eigentlich lebten. So kam es eher per Zufall dazu, dass wir im Jahr 1995 das Unternehmen North Sailing mit einem Boot als Flotte gründeten — das erste Unternehmen in Island, das regelmässige Walbeobachtungen anbot. Heute besitzen wir insgesamt zehn Boote, haben in den Sommermonaten 170 Angestellte und erfreuen mehr als 700 Personen täglich mit Walsichtungen. 

Kapitäne waren früher Walfänger

Neben der Knörrinn besitzen wir ausschliesslich alte Segelschiffe, die früher einmal als Fischerboote dienten und die kurz vor ihrem Ableben standen. Wir kauften diese alten Segelschiffe auf und renovierten sie zu exkursionstauglichen Schiffen, die genug Platz und Komfort für unsere Gäste bieten. Unser Ziel ist die Erhaltung dieser alten isländischen Meisterwerke, die die Holzarbeiter mit diesen stabilen Eichenschiffen einst erschufen. Da früher strenge Restriktionen betreffend Material und Stärke dieser Boote herrschten, sind die Schiffe mit ein wenig Renovation noch heute für lange Ausfahrten tauglich. Der neuste Zuwachs von North Sailing, das Schiff Andvari, war früher sogar ein Walfängerboot. Als wir es kauften, war es schon so abgenutzt, dass es fast auf den Grund des Ozeans sank. Wir vertreten mit North Sailing die Meinung, dass jeder eine zweite Chance verdient — so auch die Kapitäne unserer Segelschiffe. Viele von ihnen waren früher Fischer und manche sogar Walfänger. Dank North Sailing entdeckten sie, dass die Wale nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch mehr bringen, wenn sie am Leben bleiben. 

Ein Irrglauben der Touristen

Leider ist der Walfang auch noch heute ein Problem in Island. Dies, weil der Staat es nicht verbietet. Isländer essen heute allerdings kein Walfleisch mehr. Den Markt für den Walfang schaffen die Touristen, die meinen, mit dem Verzehr von Walfleisch einer isländischen Tradition zu folgen. Die Natur mit all ihren Lebewesen steht bei North Sailing im Vordergrund. Wir möchten, dass unsere Gäste die Natur aus der Nähe geniessen können, aber stets den nötigen Respekt vor den Tieren und ihrem Lebensraum behalten. Deshalb ist es uns wichtig, ausschliesslich mit Segelschiffen unterwegs zu sein. So können wir uns umweltfreundlich und lautlos auf dem Meer bewegen und uns den Tieren nähern. Für die Wale und Delfine ist es wichtig, dass sie nicht von Motorengeräuschen und -vibrationen gestört werden. Die Stille ist ein schöner Nebeneffekt für die Passagiere. Antrieb verwenden wir nur dann, wenn kein Wind herrscht und das Schiff sonst nicht vorwärts käme. 

Von umweltfreundlich zu kohlenstoffneutral

Das war uns aber noch lange nicht genug. Ich arbeite mit mehreren Partnern von North Sailing eng zusammen, um Projekte zu verwirklichen, die der Welt gegen die drohende Erderwärmung helfen könnten. So haben wir vor ein paar Jahren den Gedanken gefasst, unsere Schiffe von umweltfreundlich auf absolut kohlenstoffneutral umzubauen. Dazu haben wir die letzten Jahre an einer Technologie geforscht, die schon seit 2015 an unserem Schoner Opal zum Einsatz kommt: Der Antrieb ist durch eine Batterie gewährleistet, die durch an der Küste produzierte grüne Energie aufgeladen wird. Zusätzlich kann der spezielle Propeller durch die Drehung im Wasser selbst Energie erzeugen, mit der wiederum die Batterie und die elektrische Ausrüstung an Bord gefüttert wird. Auf längeren Ausflügen wird zusätzlich Elektrizität durch einen Generator oder durch Windenergie erzeugt. Für die Zukunft möchten wir unsere gesamte Flotte kohlenstoffneutral umbauen und unser Wissen über diese neue Technologie mit ähnlichen interessierten Unternehmen teilen. 

Es ist kurz nach zwölf, als ich die Opal in den Hafen von Húsavík zurückkehren sehe. Die Gäste scheinen etwas zu frieren, haben gerötete, aber strahlende Gesichter. Nach einem Abstecher zur Insel Grimsey, wo sie die lustigen Papageitaucher beobachteten, entdeckte der Kapitän in der Nähe einen Buckelwal. Dieser entpuppte sich aber als schüchtern oder beschäftigt und zeigte sich nicht gerne. Auf dem Weg zurück in den Hafen von Húsavík kamen die Gäste in den Genuss eines neugierigen Gewöhnlichen Schweinswals, der stolz seine Fluke präsentierte und um das Boot herumschwamm. Inzwischen kenne ich die verschiedenen Persönlichkeiten der Wale rund um Island.

Dieser Beitrag wurde unterstützt von kontiki Reisen
Fotos: North Sailing