Jürg und Claudia Bühler haben einen Traum: ein letztes Mal die grosse Reisefreiheit auskosten, bevor ihre Töchter schulpflichtig werden. Sicherheit, Komfort und eine gute Infrastruktur stehen zuoberst auf der Prioritätenliste, als sie ihre Reisepläne schmieden. Schon bald ist klar: Sie fliegen nach Las Vegas und erkunden während fünfeinhalb Wochen den Westen der USA. Per Wohnmobil.
Salt Lake City steht eigentlich auf dem Reiseprogramm. Doch kaum angekommen, wollen die Bühlers gleich weiter. Unwirtlich sei es hier, finden sie. Genau aus diesem Grund haben Jürg und Claudia ausser dem Campingplatz im Yellowstone-Nationalpark nichts im Voraus reserviert. Nach Lust und Laune unterwegs sein ist das Motto des reiseerfahrenen Ehepaars. Also heisst es Landkarte und Reiseführer aus der Handablage des Wohnmobils hervorholen und den Plan ändern. Völlig offline, wie in der Vor-Smartphone-Ära. Denn die Roaming-Gebühren sind horrend und WLAN wäre zwar theoretisch eine Möglichkeit, praktisch klappt der Empfang jedoch nur selten. Für Jürg kein Problem, sondern eine willkommene Abwechslung zum Alltag in der Informatik-Abteilung von Kuoni. Digital Detox-Ferien sozusagen. Und ausserdem ist die Quasi-Handylosigkeit ein guter Grund, anstatt dem Internet dem Rat der Einheimischen zu folgen.
Die Amerikaner begegnen der Familie mit den zwei Mädchen Leana (5) und Jara (1) nämlich überall mit liebenswerter Offenheit und Hilfsbereitschaft. Und sie staunen zuweilen über die Angewohnheiten der Schweizer. Etwa darüber, dass Claudia täglich von Hand einen Teig knetet und damit frisches Brot backt im Ofen des Campers. Oder dass die Familie mehr als zehn Kilometer lange Wanderungen in Nationalparks unternimmt. «Mit dem Auto zu einer Sehenswürdigkeit fahren, fünf Meter laufen, ein Foto, wieder zurück ins Auto» — so beschreibt Jürg die Reisegewohnheiten der Amerikaner. So kommt es, dass das Quartett grandiose Naturlandschaften ganz für sich alleine geniessen kann. Etwa den mystischen Redwood-Nationalpark im Norden Kaliforniens, wo sie durch imposante Wälder mit rekordhohen Mammutbäumen streifen. Oder den Bryce Canyon in Utah, wo sie an Unmengen an roten Felstürmen aus Basalt und Sandstein vorbeiwandern und sich dabei wie in einer Fantasiewelt fühlen. Für Jürg, der eine Leidenschaft fürs Fotografieren hat, bleibt der Besuch der Olympic-Halbinsel unweit von Seattle unvergessen. Strände mit skurril geformtem Schwemmholz und der von Farnen und Moosen überwucherte Hoh-Regenwald bieten ihm fantastische Fotomotive. Leana hingegen ist besonders fasziniert von den Höhlen im Pinnacles-Nationalpark, die die Bühlers kletternd und mit Taschenlampe erforschen.
Die kleine Jara ist auf allen Ausflügen stets dabei: Im Ergobaby Carrier auf dem Rücken von Mami oder Papi fühlt sie sich bestens aufgehoben. Auf das sperrige Baby-Tragegestell haben die Bühlers bewusst verzichtet. Denn auf vergangenen Reisen haben sie gelernt, dass es sich mit möglichst wenig Gepäck am besten reist. Besonders in den USA, wo man im Walmart alles günstig kaufen kann, sollte dann doch einmal etwas fehlen. Und besonders im Wohnmobil, wo der Platz beschränkt ist. Jürg und Claudia empfehlen sogar, einen kleinen Camper zu mieten — so könne man auch in den Städten problemlos herumfahren und Parkplätze finden. Nur rund sechs Meter siebzig lang und zweieinhalb Meter breit ist ihr fahrbares Heim auf Zeit. Die Bühlers sind lediglich mit einem Koffer, einem Wanderrucksack und einem Reiserucksack unterwegs. Ein unverzichtbarer Reisebegleiter für Eltern mit kleinen Kindern sei jedoch der Autokindersitz, da viele Motorhome-Vermieter keine Kindersitze anbieten. Praktischerweise konnte Jara bereits den Langstreckenflug nach Las Vegas in ihrem Kindersitz verbringen — ihre Eltern buchten einen eigenen Platz für sie, um bequemer und sicherer zu fliegen.
Überhaupt ist für die Bühlers Kinderfreundlichkeit ein wichtiges Thema. Wann immer möglich, übernachten sie daher auf KOA-Campingplätzen. Sympathisch und gepflegt seien diese, ausserdem biete die Infrastruktur alles, was Kinderherzen höher schlagen lässt: Pools, Minigolf, Hüpfkissen, Kletterwände, Velos und vieles mehr. Zu jedem Standplatz gehört ein Esstisch, was Jürg und Claudia sehr schätzen. Die Familie geniesst hier meistens die Mahlzeiten — wenn sie nicht gerade irgendwo in der Natur am Picknicken ist.
Nach 8000 zurückgelegten Kilometern durch den Westen der USA und rund 1500 für Benzin verbrauchten Dollars kehren die Bühlers nach Las Vegas zurück. Eine fünfwöchige Tour liegt hinter ihnen, die sie zuerst ins Landesinnere bis nach Wyoming führte und danach an die Küste von Washington State und Oregon, nach San Francisco, auf den Highway Nr. 1 und schliesslich nach Los Angeles, ins Disneyland. Fünf Wochen voller unvergesslicher Begegnungen — mit Tieren, etwa dem Waschbären, der sich unter dem Wohnmobil versteckt hatte, mit den Bisons, die im Yellowstone-Nationalpark die Strassen blockierten oder den scheuen Schwarzbären, die sie gelegentlich durch die Fenster des Campers beobachten konnten. Unvergessen bleiben auch viele Begegnungen mit Menschen, die sie berührten. Wie mit dem 85-jährigen Rentner, der aus finanzieller Not dauerhaft im Zelt lebt oder mit der zugedröhnten Rangerin, deren schäbige Camper-Behausung Jürg an eine Kulisse aus der US-Serie «Breaking Bad» erinnerte.
Den vier Abenteurern bleiben noch drei Tage im Glitzertaumel von «Sin City». Wie schon zu Beginn der Reise bewegt sich Leana meist tanzend durch die Stadt — die bunte Lebendigkeit, die Musik überall, die Wasserspiele vor ihrem Hotel, dem Bellagio, das Aquarium im Mandalay Bay Hotel, all das beschwingt sie. Jürg kennt noch einen weiteren Grund, warum seine Tochter in Las Vegas kaum zur Ruhe kommt: Die Luft in den Casinos ist mit Sauerstoff angereichert, damit die Spieler länger durchhalten — und durch Casinos führen hier fast alle Wege. Da staunen die Schweizer.
Aufgezeichnet von Evelyne Owa
Fotos: Jürg Bühler