Die drittgrösste Stadt der Niederlande ist chic, nobel und authentisch. Ob am Boulevard in Scheveningen oder in der Altstadt — Arbeiter, Blaublüter und Expats trifft man allesamt im internationalen Den Haag.
Lang, breit und majestätisch — so präsentiert sich der Strand in Scheveningen. Dass man hier nach einem Arbeitstag Ruhe findet, kann ich gut nachvollziehen. Gemeinsam mit der Local, Mandana Kooijmans, begebe ich mich auf einen Spaziergang zu den faszinierendsten Orten Den Haags. Die Stadt ist bei den meisten bekannt als Königsresidenz und Sitz des Internationalen Gerichtshofs. Ich will die weniger bekannten Seiten ergründen. Unsere kleine Reise beginnt an den Ufern der Nordsee.
«Als ich noch ein Kind war, fuhr mein Vater nach der Arbeit oft mit mir hierher zum Strand», erzählt Mandana, die Tochter eines holländischen Diplomaten und einer persischen Geschäftsfrau. Sie verbrachte ihre ersten Lebensjahre in Den Haag. Später lebte sie in Genf, Kampala, Los Angeles und in vielen weiteren aufregenden Städten auf der ganzen Welt. Vor einem Jahr ist sie zurückgekehrt. Den Haag ist «das Zuhause, das ich nie hatte», sagt sie. Ob schön oder bewölkt, der Strand sei für sie immer schon eine Ruheoase gewesen.
Scheveningen war einst ein Fischerdorf und ist nur etwa sechs Kilometer vom Bahnhof Den Haag entfernt. Der grosse Boulevard, die Seebrücke und das Kurhaus sind charakteristisch für den mittlerweile international bekannten Ferienort. Das Kurhaus wurde im Jahre 1885 fertiggestellt und steht unter Denkmalschutz, es ist ein Gebäude, das die Vergangenheit aufleben lässt. Vor meinem inneren Auge spielt sich ein regelrechter Film ab. Ich stelle mir teetrinkende Herrschaften und Damen vor, die auf der Terrasse sitzen oder ein Tänzchen wagen. Mandana reisst mich mit einer interessanten Information aus meiner Tagträumerei. Die Rolling Stones hätten hier in diesem Renaissance-Palast 1964 ihr erstes Konzert ausserhalb Englands gegeben. Wir flanieren weiter — und am Boulevard begegnen wir chic gekleideten «Hagenaars», wie man die Elite aus den Haag nennt, und auch «Hagenesen», deren faltige Gesichter und verblassten Tattoos vom harten Alltag und der Arbeit auf dem Bau erzählen.
Der Friedenspalast im Neorenaissance-Stil, Sitz des Internationalen Gerichtshof, steht hinter hohen Gitterstäben. Zugänglich scheint der Ort nicht, wo Streitfragen diskutiert und Urteile gefällt werden. Als Studentin pflegte Mandana, die Völkerrechtsbibliothek zu durchstöbern. Nicht unweit davon thront umgeben von einer Gartenanlage der Noordeinde-Palast, offizieller Sitz der niederländischen Monarchie. Mandana und ihr Vater verbrachten in der grünen Idylle ein Teil ihrer Freizeit. «Der Garten ist wie ein geheimer Ort», findet die 29-Jährige. Heute tummeln sich nicht viele Leute im Garten. Familien und Verliebte geniessen die Ruhe; ich lege mich ins Gras. «Hey nicht eindösen, mein Lieblingsplatz kommt erst noch!» Mandana stupst mich lachend an.
Meine Reisebegleitung führt mich zum nächsten Stopp auf unserem Stadtrundgang. Er liegt im Herzen der Altstadt und ist einer der schönsten und märchenhaftesten Orte überhaupt, wie sie findet. Die knapp 500 Meter lange Allee Lange Voorhout; einst Wohnort der Adeligen. «Als Kind fühlte ich mich immer wie eine Prinzessin», sagt Mandana. Ich muss unweigerlich an Aladdins Yasmin denken, der sie verblüffend ähnlich sieht. Noch immer findet hier an den Sommer-Wochenenden der Antikmarkt statt. Sie durfte sich jeweils etwas Kleines aussuchen, wenn sie gerade daran vorbeigingen. Die Allee hat tatsächlich etwas Märchenhaftes. Ich stelle mir vor, wie hier einst beschirmte Damen in Rokoko-Kleidern entlangpromenierten und sich zum Palast begaben. «Hier geht’s lang», sagt meine Begleiterin. Wir schreiten weiter zum Buitenhof.
Das Regierungsgebäude der Hofvijver ist teilweise umgeben von Wasser und scheint zu schwimmen. Aber der Schein trügt. Ganz im Gegensatz zur Insel, die davorliegt. Denn diese schwimmt wirklich mitten auf dem Wasser. Den Haag hat diese Grandeur, die man von einer Stadt mit internationaler Ausstrahlung erwartet. Trotzdem haftet ihr im Gegensatz zu anderen holländischen Städten das Attribut langweilig an. Mandana erklärt: «Viele Menschen kommen nach Den Haag, um zu arbeiten und abends ist es eher ruhig.» Warum entscheidet sich eine Weltenbürgerin wie sie ausgerechnet hier zu leben, will ich wissen. «Es ist der Mix der Menschen hier, ähnlich wie in New York», sagt sie. Zudem finde sie hier Authentizität. Die Gentrifizierung, die in anderen grossen Städten nicht aufzuhalten ist, scheint Den Haag noch nicht in Beschlag genommen zu haben. Seit den 1980er-Jahren hat sich dennoch vieles getan. Problemquartiere wie Schilderswijk oder Transvaal haben sich um Laufe der Zeit zu Wohnquartieren gemausert, ganz ohne Hipsterkaffees und Concept Stores. Den Haag scheint unantastbar — wie eine elegante Dame im Deux-Pièce, mit auffälligem Schmuck und Prinzessin Beatrix-Föhnfrisur. Darf ich bitten? Fragt dann Ihr Gemahl.
Fotos: Sven Driesen