Stefan Derungs bezeichnet sich selbst als hartgesottenen Reisenden, als Weltenbummler. Ganze 15 Jahre nannte er Afrika sein Zuhause — die letzten vier davon erkundete er als Buschpilot in einem kleinen Vierplätzer den Himmel Kenyas. Trotzdem stand Madagaskar lange auf seiner «Bucket List» — und steht nach seiner zweiwöchigen Reise erneut drauf. Nebst der Hauptstadt Antananarivo, dem endlosen Canal des Pangalanes und dem Masoala-Nationalpark gibt es nämlich noch viel mehr zu entdecken auf der einzigartigen Insel.
Einsam liegt sie da im Indischen Ozean. Eine Insel so gross wie Spanien und Portugal zusammen. An der schmalsten Stelle trennen sie nur 420 Kilometer Wasser der Strasse von Mosambik vom afrikanischen Festland. Tatsächlich ist die Insel schon so lange einsam, dass viele Lebewesen darauf nirgendwo sonst zu finden sind. «Madagaskar ist nicht Afrika, aber auch nicht Asien. Madagaskar kann man mit keinem anderen Land vergleichen». So hört sich Stefan an, wenn man ihn nach der Ähnlichkeit zu Afrika fragt. Die Madagassen sind die lebendigen Beweise für die wechselvolle Geschichte des Landes: Die ersten Siedler Madagaskars waren Seefahrer aus Südostasien. Rund tausend Jahre danach erreichte dann die afrikanische Bantu Migration das Land und später errichteten Araber Handelsstützpunkte an der Nordostküste des Landes. So sicherten sie sich ihre Handelsroute für Gewürze. Diese Einflüsse mischten sich mit neueren aus Afrika, Indien und Europa. Nach der madagassischen Mythologie aber waren die ersten Bewohner die Vazimba. Diese werden noch heute von den Madagassen als die ältesten Ahnen verehrt.
Die Hauptstadt Antananarivo — genannt Tana — ist das Ausgangszentrum aller Reisen auf Madagaskar und liegt im Hochland der Insel. Von Tana aus reiste Stefan über Moramanga in den Andasibe-Mantadia-Nationalpark, berühmt wegen seinen Stars: den Lemuren. Diese Primaten kommen alleine auf Madagaskar und kleineren Inseln in der Nähe vor; an die 100 Arten sind bekannt. Stefan beschreibt sie als neugierige und zutrauliche Tiere, die gerne auch mal auf Menschen herumturnen und Bananen aus der Hand fressen. Der Canal des Pangalanes liess für Stefan aber sogar die Lemuren im Schatten stehen: Er verläuft von Mananjary bis nach Toamasina parallel zum Indischen Ozean — insgesamt ist er etwa 645 Kilometer lang. Die Landzunge zwischen dem Kanal und dem Ozean ist stellenweise nur 100 Meter breit — vom Ufer des Kanals ist das Rauschen des Meeres zu hören. Der Kanal bringt über und unter dem Wasser Leben mit sich: Fischer und unzählige Tiere haben sich dieses verworrene Gebiet zwischen Mangroven, Wäldern und einigen Lodges zu ihrer Heimat gemacht — es ist eine regenreiche und fruchtbare Gegend.
Ein Motorboot brachte Stefan auf dem Canal des Pangalanes in die Stadt Toamasina. Sie ist die grösste Hafenstadt Madagaskars — hier kommen die Waren per Schiff an, die auf die Insel importiert werden. Am nächsten Tag reiste Stefan per Flugzeug von Toamasina weiter nach Maroantsetra; von dort brachte ihn ein Schnellboot in den Masoala-Nationalpark. Die Reise in den Regenwald bezeichnet Stefan als anstrengend — nicht nur muss man viele Stopps einlegen und die Verkehrsmittel oft wechseln, auch das Meer zwischen Maroantsetra und dem Nationalpark ist sehr unruhig und ungemütlich. Die Strapazen lohnen sich: «Der Masoala-Regenwald ist noch sehr unberührt. Bisher gibt es nur drei Lodges, doch zwei weitere sind im Bau — das Interesse der Touristen steigt», beschreibt Stefan die momentane Lage im Nationalpark. Die Lodges im Masoala-Regenwald achten besonders auf eine umweltverträgliche Bauweise und die Verwendung von nachhaltigen Produkten: Der Kaffee kommt von regionalen Bauern und auch die restlichen Nahrungsmittel stammen aus der Region. Auf die Frage, was man alles im Masoala-Regenwald unternehmen kann, antwortet Stefan: «Urwald-Trekking, Tiere beobachten, Kajak fahren auf dem Meer und im Wirrwarr der Mangroven sowie Entdeckungstouren zu einsamen Buchten mit traumhaften Stränden.»
Nach drei Nächten umgeben vom saftigen Grün des Urwalds und den Geräuschen seiner Bewohner ging es wieder zurück in die Hauptstadt Tana, von wo aus er mit dem Auto und einem Fahrer-Guide fünf Tage lang auf der Route nationale 7 Richtung Süden nach Toliara fuhr. Die Strasse ist asphaltiert, in einem sehr guten Zustand und eine der meistbefahrenen Strassen der Insel. Trotz ihrem Autobahncharakter war die fünftägige Fahrt alles andere als langweilig, wie Stefan beschreibt: «Spannend fand ich vor allem die Veränderung der Menschen und der Landschaft, je weiter wir in den Süden des Landes vorstiessen. Tana liegt im Hochland auf rund 1500 Metern über Meer und je weiter südlich man kommt, desto mehr Höhenmeter verliert man.» Die Menschen, beschreibt Stefan, haben im Hochland der Insel einen starken asiatischen Einschlag, während sie im Flachland eher afrikanisch wirken. Die Häuser wandeln sich von Ziegelhäusern zu Holz- und Strohhäusern, weil auch mit jedem verlorenen Höhenmeter die Temperatur steigt. Unterwegs gab es für Stefan Kurioses, Handgemachtes und viel Natur zu betrachten. So begegnete er einem Begräbnisumzug auf einer Dorfstrasse — «sakarara» heisst dieses Ritual auf Madagaskar. Er erkundete viele Ortschaften, die für ihre Handwerkskünste bekannt sind — so zeigte man ihm in einer Seidenspinnerzucht, wie die Einheimischen die Seide aus den Kokons wickeln und wunderschöne Seidenschals daraus herstellen. Und er unternahm abenteuerliche Wanderungen im Isalo-Nationalpark, wo er eine Mischung aus wild zerklüfteten Gebirgslandschaften mit tiefen Schluchten, bizarren Felsformationen und ausgewaschenen Höhlen vorfand.
Toliara ist sehr französisch geprägt und es wohnen auch noch heute viele Franzosen dort. Von Toliara brachte ihn ein Boot weiter nach Anakao und in den Nationalpark Tsimanampesotse. Spannend war für Stefan vor allem der Transport vom Festland zum Schnellboot: Ein alter, hölzerner Ochsenkarren, gezogen von zwei halb im Wasser stehenden Ochsen und geführt von zwei kleinen Kindern. «Der Nationalpark war ganz anders als alle anderen Nationalpärke, die ich besucht hatte. Er ist geprägt von einem glitzernden Salzsee, der die Heimat für viele Flamingos ist, und vornehmend von Trockengestrüpplandschaften — ein wahres Paradies für Vogelliebhaber», beschreibt Stefan.
Zu schnell war die Zeit um und Stefan musste wieder zurück nach Tana und von dort über Paris nach Hause. Doch er weiss: «Es war nicht mein letzter Besuch auf Madagaskar, denn es gibt noch so viel mehr zu sehen.» Auf seiner Liste stehen unter anderem: die berühmte Baobab-Allee in der Nähe von Morondava, die Felsnadeln oder «Tsingys» im Westen des Landes und die traumhaft schönen Strände mit kristallklarem Wasser auf der Insel Nosy Be. «Veloma tompoko!» — auf Wiedersehen!
Aufgezeichnet von: Jessica Feustle
Fotos: Stefan Derungs, iStock