Manchmal vertraut, dann wieder sonderbar anders. Einordnen und in eine Schublade stecken kann man Helsinki nicht. Stattdessen empfiehlt sich, die Gegensätze zwischen nordischer Rauheit und südlichem Flair — das wahrscheinlich die Meeresnähe mit sich bringt —mit allen Sinnen zu entdecken. Eine Reise durch die Genüsse des Nordens.
Ich habe den Norden geliebt (und vielleicht etwas idealisiert) seitdem ich damals mit 12 Jahren zum ersten Mal Ferien in Schweden verbracht habe. Nach langer Abstinenz hatte ich letzten Sommer endlich das Glück, zurückzukehren. Die Reise führte uns nach Helsinki — in kurzen zwei Stunden und vierzig Minuten Flugzeit ist man da — wo wir ausgiebig die Stadt erkundeten. Ein kleiner Guide für Helsinki-Anfänger, geeignet für alle, die sich wie ich gerne von den kulinarischen Köstlichkeiten und ihrem Gaumen leiten lassen. Gutes Essen gibt es hier zur Genüge!
Rund 600 000 Menschen leben in Helsinki. Dafür wirkt die Stadt sehr viel grösser als Zürich, meine Heimatstadt. Vielleicht liegt das an ihrer majestätischen Lage am Meer, dem Blick auf den Archipel, der ihr so viel Grosszügigkeit gibt, und auf endlose, glitzernde Weite. Das silberne Licht (von dem es zumindest im Sommer genügend gibt), das mir als Erstes aufgefallen ist, ist wohltuend; nordisch, irgendwie. Möchte man die Stadt entdecken, kann man dies auf verschiedene Arten tun: zu Fuss, auf dem Fahrrad, per Bus oder Tram oder vom Wasser aus. In jedem Guide und auch auf der Helsinki Touristeninformation findet man spezifische Touren durch die Stadt, für jeden Geschmack. Das Design-Viertel ist beispielsweise zu Fuss wunderbar zu erforschen. Doch wir setzen unsere Gaumen als Lotsen ein und streifen mit offenem Geist durch die Strassen, auf der Suche nach Feinem und einem hübschen Plätzchen zum Verweilen und Aufsaugen. Wenn ich wenig Zeit habe, um eine Stadt zu erleben, setze ich mich am liebsten in ein Café, von wo aus man das Treiben beobachten kann.
Der beste Start in ein Helsinki-Abenteuer: bei Kaffee und Kanelbullar (schwedischen Zimtschnecken, die wegen der gemeinsamen Historie mit Schweden hier Kulturgut sind) in einem der vielen schönen Cafés an der Esplanadi, den prominenten, einladenden Strassen mit dazwischenliegendem Park, gebeugt über einen Stadtplan, den Tag planen. Perfekt für eine Runde ausgiebiges «People Watching». Wer im Sommer in der Stadt zu Gast ist wird bemerken, dass sich scheinbar die ganze Bevölkerung draussen aufhält — um die wenigen Sonnenstrahlen so ausgiebig wie möglich zu geniessen.
Auf dem Marktplatz Kauppatori am Südhafen erhält man ein erstes Gefühl für die heimischen Leckerbissen. Im Sommer sind die Marktstände voller Beeren — kleine, wilde Blaubeeren, genannt «Bilberries» — sind in Hülle und Fülle erhältlich. Die lustigen «Cloudberries», die aussehen wie weisse Himbeeren und aus dem benachbarten Lappland kommen, sind seltener, werden jedoch enorm gehypt. Gerne hätte ich welche probiert, konnte jedoch nur eingelegte finden. Somit bleibt ein To-do für den nächsten Besuch. Im Herbst soll übrigens der Markt noch mehr hergeben als im Sommer; die Finnen leben eng mit der Natur verbunden und lieben das Sammeln von Allem, was die Jahreszeit an Essbarem hergibt. In unmittelbarer Nähe des Marktes befindet sich die alte Markthalle, Vanha Kauppahalli. Die vielen Stände mit Leckereien laden zum Probieren und Experimentieren ein. Man kann sich auch wunderbar eindecken für ein Picknick in einem der unweit gelegenen Parks, die mit ihren üppigen, gepflegten Grünflächen, den alten Bäumen und dem herrlichen Blick auf die Stadt und den Hafen bestechen.
Weitere Delikatessen findet man in der sehr modernen Food Hall des Kaufhauses Stockmann. Ich habe schon viele herausragende Lebensmittel- und Delikatessabteilungen weltweit gesehen, aber so etwas gibt es kein zweites Mal! Die Auswahl ist so riesig und die Fläche so gross und weitläufig, dass man sich fast verliert. Ein Besuch bei Stockmann kostet daher auch nicht selten über eine Stunde. Spätestens hier wird klar: Die Finnen sind grosse Feinschmecker, die das Essen zelebrieren und ein Fest daraus machen. Nicht umsonst wird bei den traditionellen Krebsessen im Sommer bei jedem Bissen auf das Leben des Krebses, den man soeben im Begriff ist zu verspeisen, mit einem rustikalen Trinkspruch angestossen. Kippis!
Wenn man die Gelegenheit hat, sollte man unbedingt eine Elchwurst probieren. Hin und wieder sieht man die Einheimischen frische Erbsen snacken — sie werden roh, direkt von der Hülse in den Mund, genossen. Erbsen gibt es in Finnland an jeder Ecke zu kaufen. Auch die Pumpernickel ähnlichen Roggenbrote, Ruisleipä genannt, schmecken gut. Sie sind die passende Begleitung zu den geräucherten und eingelegten Fischen, die überall in grosser Vielfalt erhältlich sind und auf welche die Finnen sehr stolz zu sein scheinen. Auffallend ist auch das breite Angebot an Süssigkeiten, insbesondere Lakritze und die salzige Variante Salmiakki. Im Café Fazer (Café und Shop) kriegt man die begehrten Leckerbissen in jeglicher erdenklichen Form und Variante.
Es gibt unzählige hübsche, kleine Cafés in Helsinki. Möchte man aber das Beste aus den Sonnenstunden machen — wie die Finnen, die geradezu verrückt nach Sonnentanken sind — dann ist das an der Strandpromenade gelegene Restaurant Mattolaituri die ideale Wahl. Der Blick auf die umliegenden kleinen Inseln ist malerisch; die gelegentlich in den Hafen ein- und ausfahrenden Segelboote lassen den Eindruck entstehen, man sei irgendwo in Südfrankreich.
Das Schönste überhaupt am Reisen ist es für mich, sich treiben zu lassen und den Tag höchstens mit den nächsten Food-Highlights zu verplanen. Dass die Finnen sehr unkompliziert und locker sind, merkt man in trendigen Locations wie dem The Cock. Dieses bezeichnet sich nicht als Restaurant, sondern nennt sich «Eatery». The Cock ist ein Hybrid aus cooler Einrichtung, Bar, Café und Restaurant. Mittags gibt es hier für ein paar Euros ein üppiges Buffet mit diversen mediterranen und arabisch inspirierten Gerichten. Wer Londons Ottolenghi-Restaurants mag, wird The Cock lieben.
Wem vor lauter Sightseeing, Shopping und Spazieren die Füsse weh tun, der kann sich eine Auszeit gönnen in der Ateljée Bar. In Sachen Bier sind die Finnen gross. Doch ein Ausflug in die Ateljée Bar lohnt sich nicht nur wegen des Biers, sondern primär weil die Aussicht vom Dach des Hotels Torni spektakulär ist. Von dort aus kann man die ganze Stadt überblicken, von den kleinen Altbauten, über die diversen imposanten Kirchen, welche die Wahrzeichen der Stadt bilden, bis hin zum glitzernden Horizont. Wem bisher der Überblick fehlte, der wird hier aus der Vogelperspektive die Möglichkeit haben, die Stadt als Ganzes zu verstehen.
Zum Abschluss einer Reise gehört ein gutes Abendessen. Der Besuch in der Ravintola Bronda war das persönliche Highlight unserer Helsinki-Reise. Die Finnen verstehen den Spagat aus ungezwungenem Ambiente und einem einzigartigen kulinarischen Erlebnis wie keine anderen. Was hierzulande schnell in die Kategorie «Fine Dining» fällt und etepetete wirkt, ist das in Helsinki noch lange nicht — die Finnen sind in ihrer Nonchalance lässig, schnörkellos und informell. Von Dress-Codes halten sie nichts, und auf schnöde Floskeln wie «Danke» und «Bitte» verzichten sie wo möglich. Diese angenehme Lockerheit spürt man sofort im Restaurant Bronda, das sich am besten als eine Art nordisches Bistro beschreiben lässt. Die Speisekarte ist hinreissend: ein Zusammenspiel verschiedener Ingredienzen, ein raffinierter Mix aus Eleganz und Rustikalität. Am besten wählt man das «Tasting Menu», welches einen quer durch die populärsten Leckerbissen des Etablissements führt. Dazu eine ausgewählte Weinbegleitung (in für Schweizer Verhältnisse beinahe etwas unanständiger Menge). Unser Freund, selber ein ausgezeichneter Koch und Spitzengastronom in Zürich, war so begeistert, dass er sich tollkühn zur Aussage hinreissen liess: «Das gehört zu den drei besten Ess-Erlebnissen meines Lebens — wenn es nicht gar das beste war.»
Helsinki hat zweifellos noch viel mehr zu bieten als lediglich kulinarische Highlights. Im Sommer ist die Stadt ein Traum, keine Frage. Und obwohl einen die Finnen ungefragt vor der Heftigkeit und Tristesse ihrer Winter warnen, so vermochte mich der kurze Aufenthalt doch auf eine Wiederholung zur Winterzeit neugierig zu machen. Bis bald, du besondere Stadt der Gegensätze und Überraschungen! Näkemiin, auf Wiedersehen! ... und hoffentlich bis zum nächsten Mal bei klirrender Kälte mit nicht minder feinen Begegnungen.
Fotos: Scarlett Gaus